Tachte nard in Teheran

Im Januar war es soweit: Mein Antrittsbesuch beim neuen iranischen Teil meiner Familie in Teheran. Und wie besser sollte ich dem Stil der  iranischen Menschen Respekt erweisen, als indem ich Backgammon lerne?

Also fing ich schon Monate zuvor an, Backgammon zu üben und zu spielen. Da mich das Spiel fasziniert und ich gedenke, mich weiter und ausgiebig mit ihm zu befassen, habe ich mich entschieden, einen (meinen ersten) Blog aufzumachen und meine bescheidenen Erkenntnisse und Einsichten in das Spiel mitzuteilen. Wer immer Interesse an meinen blogs findet, ist hiermit herzlich eingeladen sich mit mir in Verbindung zu setzen und mich an seiner Meinung und Kritik teilhaben zu lassen.

Iraner sind verrückt nach Backgammon

Iraner sind verrückt nach diesem Spiel, das bei ihnen tachte nard (persisch: تخته نرد) heißt und von dem sie meinen, dass sie es selbst erfunden hätten. Die Parks in Teheran sind voll mit Backgammon spielenden Menschen (zumeist ältere Männer). Meist sieht das so aus, dass um die Spieler herum mehrere Zuschauer stehen und ohne Unterlass das Spiel kommentieren und einzelne Züge diskutieren. Ein Onkel meiner Frau rühmt sich damit, dass er seit seiner Pensionierung jeden Tag acht Stunden im Park verbringt um dort mit seinen Freunden Backgammon zu spielen.

2Spieler

Bild 1: In den Park hat man mich bei meinem ersten Besuch nicht gelassen. Zunächst musste wohl die Spielstärke des `Farhangi‘ abgecheckt werden. (Star Trek Fans aufgepasst: Europäer, die ja als erstes als Händler nach Persien kamen, werden dort farhangi genannt.) Dann eben im Privaten bei einer Dose alkoholfreien iranischen Biers.

Backgammon ist aber im Iran keineswegs ein Spiel für Alte. Nur spielen die Jungen eben nicht in Parks und auf öffentlichen Plätzen, sondern im Internet. Hierzu gesellt sich aber noch ein anderer, sehr wesentlicher Unterschied zwischen den Spielweisen der Generationen: Während die Jungen in Online-Matches und -Turnieren wie selbstverständlich mit dem Doppler spielen, gibt es nicht wenige Alte, die seit über 50 Jahren tachte nard spielen und vom Doppler noch nie auch nur gehört haben.

Spielen wie die Alten

Wurfzabel_Carmina_Burana

Bild 2: Ich zähle im Bild 34 Steine. Leider sind sie farblich nicht unterscheidbar, sodass mir eine Analyse der Stellung auch unter Berücksichtigung der vom modernen Backgammon abweichenden Regeln des Wurfzabel-Spiels nicht möglich ist.

Da ich zunächst von einigen Alten (bereits in Deutschland) in das Spiel eingeführt wurde, habe ich selbst bisher noch nie mit dem Doppler gespielt.  Vielleicht werde ich irgendwann mal damit anfangen, zurzeit aber spüre ich starke Vorbehalte gegen seine Verwendung. Jahrhunderte lang wurden backgammonähnliche Spiele (das duodecim scripta, trictrac, Wurfzabel, &c.)  ohne diesen vermaledeiten Würfel gespielt. (Das mittelalterliche Wurfzabel-Spiel  habe ich übrigens abgebildet gefunden in der Benedictbeurener Handschrift der Carmina Burana. Die im handschriftlichen Manuskript enthaltene Miniatur ist in wunderschönen Farben gehalten, im nebenstehenden Bild 2 ist sie als vereinfachte Strichzeichnung umgesetzt, und zwar nach der 1847 erschienenen Ausgabe von Johann Andreas Schmeller, dort Seite 247.)

Und soweit ich die Spieltheorie bis hierher überblicke, konnte wohl wirklich nur die Glücksspielindustrie auf die Idee eines solchen Würfels kommen! Jeder, der nur Interesse an einem interessanten, variantenreichen Spiel mit Freunden hat, hätte doch niemals Interesse an dem Dopplerwürfel!  Ich hoffe, in den nächsten blogs näher auf dieses meinerseitige Unbehaben in Bezug auf den Doppler eingehen zu können und mit Argumenten zu untermauern. Vielleicht lerne ich den cube dabei doch noch zu schätzen…

Was ist das Interessante an einem Backgammon-blog? Meiner Meinung nach drei Dinge:

  1. Analysen
  2. Historisches
  3. Zwischenmenschliches

Ich will also nicht lange drumherum schwurbeln, sondern mit einer kleinen Analyse beginnen.

1. … 1/7(2) 12/18(2) oder … 1/7 12/18(3)?

Während ich so meine ersten Züge machte (und ich habe sie sehr sehr sehr langsam gemacht. Top down statt speed up, anders als Thomas Koch es Anfängern in seinem blog rät, den ich damals freilich noch nicht kannte. Meinen „Lehrmeister“ hat meine Langsamkeit schlicht fertig gemacht) — während ich also meine ersten Züge machte, ergab sich, dass ich als Weiß mit einem 6er-Pasch eröffnen durfte (Schwarz hatte 4 und 3 gewürfelt und 1. 24/20 13/10  gespielt).

Position 1

Position 1: 1. 24/20 13/10. Spiele ich 1. … 1/7(2) 12/18(2) oder 1. … 1/7 12/18(3)?

Nun, meine Reaktion als ich den 6er-Pasch sah, war ganz klar: Ich spiele 1. …  1/7(2) und 12/18(2)!

Wie ich nun Monate später sehe, würde mein gnubg dasselbe spielen.  Er favorisiert diesen Zug und berechnet (3-ply ohne Doppler) eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 59%.

Mein iranischer Lehrmeister nun sagt mir zwar nicht, dass der Zug extrem schlecht sei, erkärt mir aber, dass er lieber 1. … 1/7 und 12/18(3) spiele. Sein Argument: Was soll man mit zwei Steinen auf der 18 anfangen? Klar, sie blockieren den Gegner in genau der richtigen Distanz beim Rausspielen. Aber mit dreien schaffe man sich viele Möglichkeiten, von der 17,18,19 aus sein Haus aufzufüllen. Dass er riskiert, auf der 7 geschlagen zu werden, sei ihm relativ egal. Denn 1. würde er nicht weit zurückgeworfen, 2. würde der schlagende Schwarze mutmaßlich recht entblößt auf der 7 liegen. Der Verlust des Schwarzen Steins auf der 7,  der schon zu dreiviertel ums Feld rum ist, würde Schwarz schwerer treffen als Weiß der Verlust der weißen 7. Einen weiteren Nachteil des Spiels 1. …  1/7(2) und 12/18(2), nämlich die geringe Beweglichkeit der beiden Weißen auf der 7, werden wir unten in meinem Selbstversuch erkennen.

Während mein Gegenüber persisch höflich ist und meinen Zug eben nicht mit „sehr schlecht“ bewertet, nimmt sich gnubg bei 1/7(1) 12/18(3) in seiner gewohnt rücksichtslosen Art eine sofortige Bewertung als sehr schlecht heraus. Farhangi-Stil. (Siehe auch mein post scriptum unten.)

Ich habe mir den Spaß erlaubt, je 3 mal gegen den grandmaster gnubg mit beiden Eröffnungsvarianten (im Folgenden A und B genannt) zu spielen — mein eigenes kleines rollout. (Zum Thema rollouts komme ich hoffentlich zurück, wenn ich auch auf den cube komme.) Ich habe manuelle Würfel benutzt.

Die sechs Partien habe ich übrigens hier abgelegt: A1, A2, A3, B1, B2, B3.

ZugA

Variante A: 1. … 1/7(2) 12/18(2)

ZugB

Variante B: 1. … 1/7 12/18(3)

mini rollout

Variante A: Natürlich lässt sich mit dieser kleinen Stichprobe keine Statistik machen, aber schon die erste Partie mit Variante A (Partie A1) zeigt mir, was sich in den weiteren Partien bestätigt: Mit 1. … 1/7(2) 12/18(2) wird es schwierig, mit den beiden Steinen auf der 7 vorwärts zu kommen. Es wäre mir lieber gewesen, beim Gegner noch länger einen sprichwörtlichen Stein im Brett zu haben als schon zu Beginn die Bude zu räumen.Klar ist es schön, wenn ich Schwarz lange Zeit auf seiner Fußmatte stehe und ihm das Hereinspielen ein wenig erschwere. Aber meine beiden Steine werden sehr unbeweglich und ich bin in meiner Entscheidung, wann ich sie bewege, sehr abhängig vom gegnerischen Spiel (und vom Wurfglück, besonders deutlich erkennbar am 5er-Pasch in der zweiten Partie A2). Mit Wurfglück (einige gute Würfe im Spiel und einmal Riesendusel beim Herausspielen) gewinne ich dennoch, sogar dreifach, was mir eigentlich nie passiert. Das Glück des  blogger-beginners.

Partie A2 verläuft unspektakulär. Mit dem erwähnten 5er-Pasch habe ich das Wurfglück, das notwendig ist, um schon früh meine Soldaten auf der 7 in Marsch zu setzen.

In der dritten Partie A3 entscheide ich mich tatsächlich nach einem Wurf 5 6, zu laufen, werde prompt unglücklich geschlagen, eingemauert und verliere deutlich. Es ist also wohl keine gute Idee, sich verfrüht auf den Weg zu machen: Variante A verlangt Geduld.

Variante B: In der ersten Partie B1 mit der Variante 1. … 1/7(1) 12/18(3) entsteht schnell eine Spielsituation, die meinen Puls leicht ansteigen lässt (bei den A-Partien war ich deutlich ruhiger). Ich werde geschlagen und finde mich früh mit 2 Steinen im gegnerischen Haus wieder. Dies ist genau das Risiko, dass diese Variante nun einmal mit sich bringt. Nun gilt es, den vor dem eigenen Haus gewonnenen Vorteil auszuspielen und dort dem Gegner das Leben schwer zu machen. Zum Glück kann ich in dieser Partie mit beiden Steinen im gegnerischen Haus die strategisch sehr günstige 5 besetzen. Insgesamt kommt mir die Partie offener vor, aber ich habe vor und in meinem eigenen Haus weniger Probleme mit dem Spiel als in den A-Partien. Als ich Schwarz im 7. Zug schlagen kann, bekomme ich das gute Gefühl, dass ich gewinnen werde, denn mein Spiel ist zu diesem Zeitpunkt entwickelter als das des grandmaster – ich kann von der 5 aus beruhigt sein Spiel beobachten. Zwei Paschs und einmal 6 und 5 für gnubg machen es noch einmal spannend, aber mit meinem 13. Zug und dem eigenen 5er-Pasch im 15. Zug ist der Drops gelutscht, wie man so schön sagt.

Auch in der zweiten Partie B2 geht der Stein auf der 7 sofort hops, und dann gleich noch einer hinterher. Das verspricht lustig zu werden. Nach 6 Zügen allerdings habe ich 3 Steine ums Feld herumzuspielen, der Gegner derer 5 (wenn er mich schlägt, schlägt er immer wieder dieselben Steine. Ich hingegen nehme immer weitere seiner Steine aus dem Spiel.) Zudem habe ich meine 3 Wächter auf meiner Schwelle stehen; seine Haustür steht offen. Vielleicht übertreibe ich es dann ein bisschen mit dem Risiko, aber ich komme heile durch die Schlacht. Ab Zug 12 stehen alle Zeichen auf Sieg, da möchte ich nicht in seiner Haut stecken. Und wieder ein Backgammon! (Ich sollte wohl nur noch im „blog-Modus“ spielen, so erfolgreich wie das hier läuft…).

Die dritte Partie B3 beginnt mit dem worst case. Schwarz kann  2. 13/7 10/7 spielen. Aber dass Variante B für unterhaltsame Spiele sorgt, habe ich nun verstanden. Im Haus kann ich leider nicht so schön spielen, wie ich gerne wollte. Der Vorteil der Steine auf der 18 macht sich nur kurz bemerkbar, ich stecke weitere Rückschläge ein und das Spiel zieht sich! Im 34. Zug geht meine letzte Hoffnung flöten und ich verliere. Wäre das mit Variante A wohl auch passiert?

Ergebnis

Nach Selbstversuch stelle ich folgende Behauptung auf: Die Variante B, 1. … 1/7 12/18(3), ist für  Spieler, die ihre Steine beweglich halten und ihre Spielidee aktiv voranbringen möchten. Diese Variante verspricht schon früh im Spiel gute Möglichkeiten des Spiels vor der eigenen Haustür. Variante A, 1. … 1/7(2) 12/18(2), hat den Vorteil, dass die beiden Steine auf der 7 dem Gegner in der Tat sehr unangenehm auf der Matte stehen. Sie sind dort aber auch blockiert, da „von hinten“ kein Backup zu erwarten ist wenn nicht ein eigener Stein geschlagen wird.

Wem das Erschweren des gegnerischen Spiels im Zweifelsfall wichtiger ist als eine aktive (und zumeist risikoreichere) Entfaltung der eigenen Spielidee, der sollte 1. … 1/7(2) 12/18(2) spielen. Ich jedenfalls überlege mir je nach dem Verlauf der vorherigen Partien und nach Bauchgefühl sehr gut, ob ich nicht lieber 1. … 1/7 und 12/18(3) spiele. Mehr Spaß macht mir diese Variante fast immer, und das sollte beim Backgammon nun einmal im Vordergrund stehen.

post scriptum: gnubg und seine Bewertungen

Zum unhöflichen und überheblichen Bewertungs-Stil meines gnubg: Ich verwende die default-Bewertungseinstellungen und 3-ply Analyse ohne Doppler. Man mag mir vorwerfen, übersensibel zu sein, aber ich habe den Eindruck, dass mein Spiel umso häufiger mit awful! bewertet wird, je höher ich gewinne. Gegen den grandmaster gewinne ich im Durchschnitt von nunmehr über 100 archivierten Partien in zwei Dritteln der Fälle (wohlgemerkt — ohne Doppler) und er hält sich weiterhin für supernatural. Jeder normale Mensch würde seine Supranaturalität hinterfragen, wenn er ständig gegen awful! spielende Anfänger und Gelegenheitsspieler verlöre…