Weil das Backgammon-Spiel ein Würfelspiel ist, hängt der Verlauf und der Ausgang einer Partie nicht allein vom Geschick und der Strategie der beiden Spieler ab, sondern wird über die zufälligen Realisierungen der verschiedenen möglichen Augenzahlen der Würfel wesentlich vom Zufall mitbestimmt. Diese Tatsache allein überrascht niemanden — wie oft jedoch habe ich schon müßige Debatten darüber erlebt, wie viel Anteil Glück und wieviel Anteil Spielgeschick denn nun zum (Miss-)Erfolg des eigenen Spiels beitragen. 50:50? 40:60? 60:40?
„Ach Gott! wie doch mein erster war,
Find’ ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
Es konnte kaum ein herziger Närrchen seyn.
Er liebte nur das allzuviele Wandern,
Und fremde Weiber, und fremden Wein,
Und das verfluchte Würfelspiel.“
Weswegen wohl die gute Marthe in Goethes Faust das Würfelspiel derart verfluchte? Eines steht fest; über das Würfelglück lässt’s sich trefflich diskutieren. Ich für meinen Teil habe mich dazu entschieden, nicht über mein Wurfpech zu lamentieren und versuche stattdessen, auch in nervlich schwierigen Situationen an den weisen Leitsatz zu glauben:
Es gibt keinen schlechten Wurf, es gibt nur schlechtes Spiel.
Natürlich ist es dennoch überaus nützlich und wichtig, sich ein wenig mit Wurfwahrscheinlichkeiten auseinanderzusetzen. Und da ich mich als Anfänger auch einfachster Gedankengänge nicht schäme, habe ich sie verfolgt und hier aufgeschrieben, wohin sie mich geführt haben. Das Zwischenergebnis meiner Überlegungen, die Bilder 3 und 4, finde ich sehr nützlich und behaupte sogar, dass jeder Spieler eine solche Verteilung für alle eigenen und gegnerischen Steine stets vor dem inneren Auge haben sollte.
Endlichkeit des Spiels
Man könnte ja übrigens meinen, dass wegen der Unbestimmtheit der Würfelergebnisse eine Partie Backgammon prinzipiell auch unendlich lange dauern könnte. Doch hier kommt eine einfache Überlegung zu Hilfe und zeigt uns, dass eine Partie Backgammon immer zu einem Ende kommt. Es kann zwar sehr lange dauern, aber es gibt garantiert immer einen Sieger und einen Verlierer (anders als etwa im Schach).
Der Beweis geht ganz einfach: Man stelle sich vor, jeder Spieler habe nur noch einen Stein im Brett. Egal wie dieser positioniert ist, gibt es immer mögliche Wurfkombinationen, mit denen einer am anderen vorbeiläuft und herausspielen kann. Aufgrund der Gesetze der Wahrscheinlichkeit muss diese Wurfkombination aber irgendwann eintreffen, egal, wie unwahrscheinlich sie ist. Das war schon der Beweis, da dasselbe Argument für beliebig viele Steine im Brett gilt.
Merke (1): Jede Partie Backgammon kann in endlicher Zeit zu Ende gespielt werden.
Nun also zum Würfel(n): Obwohl im Backgammon mit zwei Würfeln gewürfelt wird ist es vielleicht von Nutzen, sich zunächst die Wahrscheinlichkeiten beim Wurf eines einzelnen Würfels anzuschauen. Zum warm werden.
Der einzelne Würfel
Bild 1: Augenzahlrealisierungen des einzelnen Würfels.
Beim Einzelwürfel gibt es die sechs Realisierungen i=1,2,3,4,5,6, die bei einem nicht-gezinkten Würfel alle mit derselben Wahrscheinlichkeit auftreten: p(i)=1/6, das sind etwa 16%. Andersherum ist die Wahrscheinlichkeit, die Augenzahl i nicht zu würfeln: ¬p(i)=1-p(i)=5/6, das sind etwa 83%. Im Grunde genommen ist damit die gesamte Theorie des Einzelwürfels abgehandelt, die also recht überschaubar ist. Die Schwierigkeit in der Beherrschung des Backgammon-Spiels rührt aus der Verwendung eines zweiten Würfels, mit dem der Wahrscheinlichkeitsraum potenziert und die Situation schwerer beherrschbar wird.
Zwei Würfel
Beim gleichzeitigen Wurf zweier Spielwürfel bestehen 36 Realisierungsmöglichkeiten:
Bild 2: Augenzahlrealisierungen zweier Würfel.
Ist keiner der beiden Würfel gezinkt, so muss jede Realisierung j gleich wahrscheinlich sein, p(j)=1/36. Da es aber zum Beispiel genau so wahrscheinlich ist, 6 und 2 zu würfeln, wie es wahrscheinlich ist, 2 und 6 zu würfeln, ist die Wahrscheinlichkeit für eine solche Realisierung zweier verschiedener Augenzahlen gleich 2·1/36=1/18, das sind etwa 6%. (Denn es ist für das Spiel egal, welcher Würfel die 6 und welcher die 2 realisert.)
Merke (2): Die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Kombination zweier verschiedener Zahlen zu würfeln, beträgt 1/18, das sind etwa 6% (was wirklich nicht viel ist.)
Merke (3): Die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Paschs beträgt 1/36, das sind etwa 3% (was noch weniger als nicht wirklich viel ist).
Daher:
Spekuliere nicht auf den Wurf einer bestimmten Zahlenkombination.
Es lohnt sich nicht.
Wegen dieser betrüblichen Nachricht gleich die ganze Wahrscheinlichkeit zu missachten, ist allerdings auch nicht ratsam.
Ein bisschen Wahrscheinliches
Denn man kann in der Theorie viel Nützliches erarbeiten, was andere nur durch sehr viel Ausprobieren lernen, und damit seine Taktik verbessern. Wie groß ist beispielsweise bei zwei Würfeln die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Augenzahl i mindestens einmal zu würfeln? Sie ist die Wahrscheinlichkeit, dass entweder der 1. Würfel ein i realisiert oder der zweite Würfel ein i realisiert oder beide Würfel ein i realisieren. Der Logik zufolge ist diese Wahrscheinlichkeit als die Summe der drei Einzelwahrscheinlichkeiten gegeben. Die Wahrscheinlichkeit, mit egal welchem der beiden Würfel eine bestimmte Zahl i zu würfeln, ist also p(i oder i)=p(i)+p(i)=1/6+1/6=1/3. Darin ist allerdings der ier-Pasch doppelt gezählt. Korrigiert man dies, so ist die Wahrscheinlichkeit p(i oder i)=1/3-1/36=11/36. Zu viel Mathe? Dann merke nur:
Merke (4): Die Wahrscheinlichkeit, dass beim Wurf von zwei Würfeln mindestens eine der beiden gewürfelten Zahlen gleich einer bestimmten gewünschten Zahl ist, ist 11/36. Das sind etwa 30%.
Eine direkte Folge hieraus:
Merke (5): Die Wahrscheinlichkeit, dass beim Wurf von zwei Würfeln eine bestimmte Zahl nicht gewürfelt wird, beträgt 25/36. Das sind etwa 70%.
Augenzahlsummen und Augenzahlkombinationen
Ein einzelner Stein kann, je nach gewürfelter Augenzahl, zwischen 1 und 12 Felder, mit einem 3er, 5er oder einem 6er-Pasch auch 15, 16, 18, 20, oder 24 Felder weit ziehen. Die Schrittweiten 1 bis 6 können mit der Realisierung eines einzelnen Würfels erreicht werden, die Wahrscheinlichkeit hierfür ist jeweils 11/36 entsprechend etwa 30%. Größere Schrittweiten als 6 können natürlich nur in Kombination beider Würfelrealisierungen erreicht werden.
Die Gesamtwahrscheinlichkeit für jede theoretische Schrittweite ist schnell hingeschrieben. In einem Diagramm dargestellt sehen sie wie folgt aus:
Bild 3: Gesamtwahrscheinlichkeit p aller möglicher Schrittweiten S eines einzelnen Steins (ohne Hindernisse).
Dem Verlauf dieses Balkendiagramms kann man insbesondere entnehmen, dass die Schrittweite 6 die höchste Realisierungswahrscheinlichkeit hat. Für größere Schrittweiten nimmt die Wahrscheinlichkeit dann abrupt ab, was natürlich daran liegt, dass diese Schrittweiten nur noch in einer Kombination beider Augenzahlen erreicht werden können.
Eine solche Wahrscheinlichkeitsverteilung kann man sich ohne große Mühe in das Spielfeld — vor einen eigenen oder einen gegnerischen Stein — hineingelegt denken. Diese Vorstellung ist sehr praktisch, wenn man sich die Wahrscheinlichkeiten der nächsten Schrittweiten eines Steins veranschaulichen möchte. Sie ist damit dazu geeignet, sowohl die eigenen Zugoptionen im nächsten Wurf als auch die Bedrohung eigener Steine durch den Gegner abzuschätzen. Das folgende Beispiel zeigt eine solche Projektion für einen weißen Stein auf dem 1. Feld bis hin zum 12. Feld, das heißt, bis zur Schrittweite 11. Hier ist wieder angenommen, dass keine blockierten Felder auf dem Weg liegen, auf die nicht gespielt werden kann:
Bild 4: Projektion des Diagramms aus Bild 3 in das Spielfeld.
Ähnliche Projektionen der Wahrscheinlichkeitsfunktion in das Spielfeld kann man für jedes beliebige Feld durchführen. Je mehr gegnerische Steine dabei aber die Schrittweite blockieren, desto deutlicher weichen natürlich die tatsächlichen Wahrscheinlichkeiten von den in Bild 4 gezeigten ab. Die folgende Sequenz zeigt anhand eines Beispiels den Einfluss des schwarzen Spiels auf die Beweglichkeit der weißen Steine. Eine direkte Flucht des Weißen ins Außenfeld ist in der dritten Position nur noch wenig wahrscheinlich.
Bild 5: Entwicklung der Schrittweite aus Bild 4 in Abhängigkeit vom schwarzen Spiel.
Elementare Konsequenzen
Allein aus dieser Wahrscheinlichkeitsfunktion können einige taktische Grundregeln des Backgammon-Spiels abgeleitet werden (Die Betonung liegt hier auf taktisch. Aufgrund einer strategischen Überlegung können andere Züge bevorzugt gespielt werden – denn eine gute Strategie sollte immer über das reine Abschätzen von werde ich geschlagen oder kann ich schlagen? [die Taktik] hinausgehen.):
Zunächst stellt man fest: Die Schrittweite 6 hat die höchste Realisierungswahrscheinlichkeit (beinahe 50%). Dies ist der Grund für die Bedeutung des 7. Felds (des Feldes vor dem Haus). Daher:
Merke (6): Besetze die eigene Haustür.
Weil früh im Spiel das Blockieren der gegnerischen Steine im eigenen Haus hohe Priorität hat, kann man auch schnell Folgendes einsehen:
Merke (7): Besetze zusammenhängende Felder zwischen dem 4. und dem 9. (noch besser zwischen dem 5. und dem 9.) Feld.
Das `Zubauen‘ des eigenen Hauses auf Kosten der Besetzung des Außenfeldes ist erst in einer späteren Phase des Spiels sinnvoll. In Position 1 etwa könnte ein ungeübter weißer Spieler denken, er sei im Vorteil, weil er bereits einen Stein herausgespielt hat. (In der Tat ist er im PIP-count leicht voraus.) Der erfahrene Spieler sieht aber sofort, dass Schwarz mit hoher Wahrscheinlichkeit den Sieg davontragen wird, weil er den weißen 3er schon jetzt beinah aussichtslos eingekerkert hat. Weiß bräuchte eine 1 und eine 6. Schwarz kann aber mit der zusätzlichen Unterstützung von der 13 gemütlich von der 9 aus (immer von außen nach innen!) sein Haus zubauen.
Position 1: Schwarz minimiert die Hoffnungen vonWeiß auf eine rasche Flucht.
Schließlich bemerken wir: Bleibt, egal wie man seinen Wurf spielt, immer ein Stein allein liegen (blot), so spielt man taktisch am besten so, dass dieser Stein möglichst nah am jeweils drohenden gegnerischen Stein zu liegen kommt (<3, je näher desto besser) oder möglichst weit weg (>10. 12 vermeiden). Die Gefahr, geschlagen zu werden, wird so minimiert. In Position 2 etwa bleibt bei jedem möglich Zug von Schwarz mindestens einer seiner Steine einzeln in Schlagweite des Weißen liegen. Der Zug, der die Wahrscheinlichkeit, geschlagen zu werden, minimiert, ist 10/4.
Position 2: Schwarz am Zug hat 5 und 1 gewürfelt.
Merke (8): Mit dem blot ran an den Gegner, oder bleib ihm fern.
So, nun sind meine Auslassungen lang genug geworden, denke ich. Vielleicht verlasse ich beim nächsten Mal das trockene Gebiet der Analyse und tauche stattdessen ein in die Geschichte des Backgammon-Spiels.