Zu zwein auf der Bar

Der Gewinner hat den Sieg als bestes Argument und muss sich niemandem gegenüber rechtfertigen. Im Weltmeisterschaftsfinale 2013 kam es im 9. Spiel zwischen Vyacheslav Pryadkin (Schwarz) und Lars Trabolt (Weiß), dem 6-maligen Finalteilnehmer und Weltmeister von 2008, zu folgender Spielsituation:¹

Pryadkin_Trabolt

Bild 1: Pryadkin (Schwarz) vs. Trabolt (Weiß).

Pryadkin spielte 7/1 6/1*, schickte damit einen zweiten Weißen auf die bar und machte einen Punkt im Haus.

Bild 2: Pryadkins Zug. Ein guter Zug?

Bild 2: Pryadkins Zug.

War das ein guter Zug?

Auf 2 und 3 entsteht eine hässliche Lücke und mit seinen Steinen auf den weit entfernten Feldern kommt Schwarz nicht voran. Im nächsten Zug ist an einen weiteren Punkt im Haus nicht zu denken und Unterstützung für die 7 ist noch mindestens acht Felder entfernt (was immerhin innerhalb der erwartbaren Schrittweite des nächsten Wurfs ist). Ist es nicht besser, einen zusammenhängenden Block zu bewahren und Material von hinten heranzuspielen? Ist es also nicht beispielsweise besser, 16/5 oder 18/7 zu spielen? Computer-Analysen dieser Stellung behaupten das.

Wie groß ist also der Vorteil für Schwarz, wenn Weiß nun zwei Steine statt vormals einem auf der bar hat? Wiegt er die Nachteile auf? Eine gute Gelegenheit, ein paar Fakten zusammenzustellen und gleichsam mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.

Wahrscheinlichkeiten bei drei offenen Feldern, wenn nur ein Stein auf der bar liegt:

Bei drei offenen Feldern im Schwarzen Haus ist die Wahrscheinlichkeit, dass Weiß im nächsten Zug hereinspielt, p=75% (das sind 27 von 36 Zügen. Die Anzahl günstiger und ungünstiger Würfe erhält man durch Abzählen im Bild 2 meines Artikels über elementare Wurfwahrscheinlichkeiten). Die Wahrscheinlichkeit, dass Weiß spätestens nach zwei Zügen hereinspielt hat, ist 1-(1-p)(1-p)=0,94. Nach drei Zügen ist sie 1-(1-p)(1-p)(1-p)=0,98 usw. Die Ergebniss für bis zu fünf Würfe und für ein und zwei freie Felder habe ich in der Tabelle 1 zusammengefasst. Doch zunächst die

Wahrscheinlichkeiten bei zwei offenen Feldern, wenn zwei Steine auf der bar liegen:

Bei zwei offenen Feldern im Schwarzen Haus ist die Wahrscheinlichkeit, dass Weiß im nächsten Zug beide Steine hereinspielt gleich 11% (das sind 4 von 36 Würfen. Mit 16 von 36 Würfen kommt er gar nicht herein. Mit weiteren 16 schafft es nur ein Stein.) Die Wahrscheinlichkeit, dass Weißspätestens nach zwei Würfen beide Steine hereingespielt hat (vorausgesetzt, dass dann immer noch zwei Felder offen sind), ist mit 36%  immer noch klein; nach drei Würfen überschreitet sie geradeso die 50-50-Grenze und liegt bei 55%.

Alle Werte sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt:

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten [%] zum Hereinspielen von einem und von zwei Steinen bei ein bis drei freien Feldern

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten [in %] zum Hereinspielen von einem und von zwei Steinen bei ein bis drei freien Feldern.

Haftung für die Richtigkeit übernehme ich keine. Ich hab diese Aufstellung des Abends bei einer Flasche Ruppaner Export und während einer Fußballübertragung ganz altmodisch mit Stift und Papier produziert. (Wie so ein Gekritzel aussieht, hält das Bild 3 fest. Für die Nachwelt.) Vielleicht komme ich irgendwann mal dazu, die Werte zu überprüfen.
Gekritzel

Bild 3: Zur Unterstützung des Antrags des Autors auf Haftungsausschluss für Tabelle 1.

Die drei Spalten für einen Stein wurden bereits von Magriel angegeben (dort Tabelle 5, siehe auch meine Buchbesprechung), aber die Werte in den Spalten für zwei Steine sind besonders interessant. Schon in der ersten Zeile (1 Wurf) erkennt man, wie drastisch ein zweiter Stein auf der bar einen Spieler zurückwirft. Die Wahrscheinlichkeit `wieder am Spiel teilnehmen zu können‘ sinkt auf ein Drittel bei drei freien Feldern; auf ein dramatisches Fünftel bei zwei freien Feldern; und bei nur einem freien Feld auf ein Zehntel der bereits geringen Wahrscheinlichkeit von 31%, die schon bei nur einem Stein auf der bar die Rückkehr ins Spiel erschwerte.

Zurück zur Spielsituation

Den einen Stein auf der bar spielt Weiß also mit 75 Prozent Wahrscheinlichkeit wieder hinein. Holt Schwarz bereits jetzt mit 16/5 oder 18/7 einen builder hinzu, so wird sein jetzt noch nutzbarer builder auf der 7 mit eben jener Wahrscheinlichkeit inaktiv. Mit den zwei buildern, die Schwarz dann noch bleiben, gibt es aber nur wenige Möglichkeiten einen weiteren Punkt im Haus zu machen (von denen Weiß aller Wahrscheinlichkeit nach bereits einen besetzt hält). In der Konsequenz hat Schwarz für das Spiel 7/1 6/1 erst einmal keine Möglichkeit mehr und muss außerhalb des Hauses spielen.

Indem er das zunächst nachteilig erscheinende Spiel 7/1* 6/1 jetzt spielt, reduziert er die Möglichkeit von Weiß, sofort ins Spiel zurückzugelangen, auf 11%. Selbst nach drei Zügen ist Weiß mit einer fast 50-50-Change noch nicht wieder im Spiel. Genügend Zeit für Schwarz um sein Material zu holen! (Und der Verlust des 7-Punkts fällt kaum ins Gewicht.)

Pryadkin gewann Spiel, Match und Turnier. Doch neben dem Erfolg rechtfertigt auch unsere reifliche Überlegung, in Bild 1 das zunächst nachteilig erscheinende  7/1* 6/1 zu spielen.

Anmerkung

¹Das gesamte Match findet man in Othellos Backgammon-Datenbank wenn man dort nach world championship 2013 final sucht.

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Das untenstehende Bild 4 hat mit diesem blog übrigens nichts zu tun. Auch was es im blog der Backgammon-Weltmeisterschaft zu suchen hat, bleibt mir unklar. Ich schätze aber, dass auch meine Seite allein wegen dieses Photos und mit einer richtigen Verschlagwortung (sagen wir Glücksspiel, Geld, Monte Carlo und Luxusauto) öfter angeklickt werden wird.
Bild 4: Auto, das mit dem Spiel nichts zu tun hat.

Bild 4: Auto, das mit dem Spiel nichts zu tun hat.

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