Kosmisches Spiel

Sucht man im Internet nach Fakten zur Geschichte des Backgammon, so gelangt man eigentlich immer wieder zu denselben Informationen. Das meiste, was kursiert, scheint mehr oder weniger dem Buch von Oswald & Jacoby entlehnt zu sein. Also entschied ich mich etwas wissenschaftlichere Kanäle zu durchleuchten und stieß endlich auf ein ganz wunderbares Büchlein: On the Explanation of Chess and Backgammon von Touraj Daryaee, Professor für Iranische Geschichte an der Universität von Kalifornien, Irvine (siehe auch meine kurze Besprechung des Buches hier). Professor Daryaee gibt in dem Büchlein die Übersetzung ins Englische eines mittelpersischen Texts aus dem späten 6. oder frühen 7. Jahrhundert, in dem die Erfindung des Backgammon-Spiels am Hofe des Sassaniden-Königs Chosro Anuschirwan geschildert wird. Das folgende Bild 1 zeigt Ausschnitte aus einem der Manuskripte, mit denen Daryaee gearbeitet hat.

Bild 1: Die Verse 20--27 im Pahlavi-Manuskript (S. 37 im Buch von Daryaee).

Bild 1: Die Zeilen 20–27 im mittelpersischen (Pahlavi-)Manuskript (S. 37 im Buch von Daryaee).

Das Manuskript beginnt mit der Legende, nach der der indische König die Intellektuellen des persischen Hofs durch Zusendung eines Schachbretts herausgefordert habe. Sie sollten ohne Kenntnis der Regeln die Bedeutung und Bewegungen der Figuren sowie das Ziel des Spiels herausfinden. Diese Geschichte ist eine recht bekannte Episode des späteren Schahnahme, des Buchs der Könige von Ferdosi (10.–11.  Jhdt.).

Über die Symbolik des Backgammon-Spiels

Was hierauf folgt, ist eine weit weniger bekannte Beschreibung des Backgammon-Spiels, das der Wesir des persischen Königs, Bosorgmer, im Gegenzug entworfen und an den indischen Hof habe senden lassen. Während Bosorgmer das Schachspiel als Sinnbild des Krieges erkennt, entwirft er mit dem Backgammon-Spiel ein Sinnbild der kosmologischen Ordnung und der Rolle des Menschen in ihr. Bosorgmers Erklärungen des Spiels folgen der Weltordnung und Schöpfungsgeschichte der zarathustrischen Religion, in der der Eine Gott Ahura Mazda der Schöpfer der Welt und der Ursprung aller guter Gedanken, Worte und Taten ist.

Im Folgenden versuche ich mich an der Übersetzung (aus dem Englischen, freilich) der Zeilen 20–31 des Manuskripts, in denen das Backgammon-Spiel beschrieben wird. Bosorgmer sagt:

20) Ich werde das Backgammon-Brett gestalten wie die sechs Amschaspand¹.

21) Ich werde 30 Steine machen, wie die 30 Tage und Nächte. Ich werde 15 Weiß machen wie den Tag und 15 Schwarz wie die Nacht.

22) Ich werde Würfel machen für das Voranschreiten der Sternbilder und den Umlauf des Firmaments.

23) Ich werde die Eins auf dem Würfel machen wie Ahura Mazda, der Eins ist und von dem alles Gute geschaffen wurde.

24) Ich werde die Zwei machen wie die geistige und die materielle Welt.

25) Ich werde die Drei machen wie das Gute Denken, das Gute Sprechen und das Gute Handeln.

26) Ich werde die Vier machen wie die vier Elemente aus denen die Menschen bestehen und wie die vier Ecken der Welt, Nordosten und Südwesten und Südosten und Nordwesten.

27) Ich werde die Fünf machen wie die fünf Lichter, die Sonne, den Mond, die Sterne, das Feuer und das Licht der Lüfte das aus dem Himmel auf uns herabfällt.

28) Ich werde die Sechs machen wie die Schöpfung der Weisen während der Gahanbars².

29) Ich werde die Anordnung des Backgammon-Spiels machen wie der Herr Ahura Mazda, als Er die Wesen der materiellen Welt schuf.

30) Das Voranschreiten und der Umlauf der Steine durch den Würfel ist wie die Menschen der materiellen Welt, deren  Verknüpfung mit der geistigen Welt durch die 7 und die 12 (die Planeten und die Sternbilder) entsteht und die alle ihr Sein haben und vorangehen.³ Und wenn es ist wie wenn ein Stein einen anderen Stein schlägt und aufsammelt, so ist es wie mit den Menschen in der materiellen Welt, einer schlägt den anderen.

31) Und wenn durch den Fall des Würfels alle aufgesammelt sind, so ist dies die Entsprechung der Menschen die aus der materiellen Welt geschieden sind, und wenn sie wieder aufgestellt werden, so ist dies die Entsprechung der Menschen die während der Zeit der Auferstehung wieder ins Leben zurückkehren.

Anmerkungen

¹Die Amschaspand sind sechs unsterbliche Weise, die dem Schöpfergott im Kampf gegen die Kraft der Zerstörung beistehen.

²Die Gahanbars sind sechs Zeiträume im Jahr, in denen die Schaffung der sechs unsterblichen Weisen (s.o.) durch Ahura Mazda gefeiert wird.

³Die Zeile 30 war mir im Englischen nicht recht verständlich und so zeichnet sich auch meine deutsche Version nicht durch übermäßige Klarheit aus. Schade, dass gerade die 7 und die 12 nicht verständlicher erklärt werden können.

Literatur

Daryaee, F. On the Explanation of Chess and Backgammon, Persian Text Series of Late Antiquity: Vol. 1. Beverly Hills: Afshar Publishing, 2011.

In secta Decii voluntas mea est

Backgammon à la Benedictbeuren

Bild 1: Aus der Benedictbeurener Handschrift der Carmina Burana.

Bild 1: Aus der Benedictbeurener Handschrift der Carmina Burana.

In meinem ersten blog zeigte ich beiläufig eine Darstellung des Wurfzabelspiels aus der Benedictbeurener Handschrift der Carmina Burana (Bild 1). Ich schrieb damals, dass ich 34 Steine zähle und dass ich die Stellung auch aufgrund der mir unbekannten Regeln des Wurfzabelspiels nicht weitergehender untersuchen könne. Daraufhin kümmerte ich mich nicht weiter um diese Abbildung.

Nun klickte ich mich letztens durch Webseiten über mittelalterliche Tric-Trac- und Wurfzabelspiele und fand mich endlich um folgende Erkenntnisse bereichert:

  1. Man spielte mit 3 Würfeln.
  2. Es gab keine Startaufstellung der Steine, sondern diese mussten ins Brett hineingespielt werden.
  3. Die Spieler spielten ihre Steine gegenläufig um das Brett herum nach Hause, so wie beim modernen Backgammon auch.
  4.  Die genaue Anzahl der Spielsteine ist unbekannt.

Ich kehrte daraufhin zur Wurfzabelabbildung aus den Carmina Burana zurück und stellte mir die Verteilung der Steine in meinem Backgammonbrett dar:

Bild 1: Verteilung der Steine im Wurzabelspiel der Benedictbeurener Handschrift der Carmina Burana

Bild 2: Verteilung der Steine.

In Bild 1 sind die Steine nicht unterschiedlich gemustert oder farblich unterschieden, sodass die Zuordnung der Steine zu den beiden Spielern Spekulation bleiben muss. Ich will den Versuch der Rekonstruktion der konkreten Spielsituation dennoch unternehmen, wobei ich ergänzend zu meinen vier Erkenntnissen einmal plump von der Gültigkeit der wesentlichen heutigen Backgammonregeln ausgehe.

Rekonstruktion der Spielsituation

Angesichts von 34 im Brett erkennbaren Steinen und da keine weiteren Steine neben dem Brett oder auf der bar liegen, gehe ich von 17 Steinen pro Spieler aus. Aufgrund meiner 2. Erkenntnis gehe ich davon aus, dass die Partie bereits recht fortgeschritten ist. Denn egal ob die Spieler ihre Steine „von links“ oder „von rechts“ ins Brett hineingespielt haben, befinden sich bereits 17 Steine im Außenfeld. Eine Endphase wiederum ist auch nicht auszumachen (wenn nicht die Steine auf Punkten 1 bis 6 alle demselben Spieler zuzuordnen sind, was auf eine eindeutige Partie hindeuten und damit die Verteilung der restlichen Steine sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen würde), sodass ich von einem mehr oder weniger geordneten Mittelspiel beider Parteien ausgehe. Wenn die Strategien der Spieler auch nur annähernd dem ähneln, was wir heute so spielen, kann man schlussfolgern, dass der rechte Spieler im Uhrzeigersinn spielt und sein Heimfeld linkerhand vor sich hat. Entsprechend spielt dann der links sitzende Spieler gegen den Uhrzeigersinn und hat sein Heimfeld rechts vor sich. Hierfür spricht die Häufung von Steinen auf den Feldern, die in Bild 2 mit 12 und 13 benannt sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Spieler im Wurfzabelspiel, wo es keine Startaufstellung gab, die Bedeutung dieser Mittelpunkte für ihr Spiel erkannt haben; als man sich dann irgendwann (zur Beschleunigung des Spiels?) dazu entschied, eine Startaufstellung zu definieren, legte man also fest dass auf diesen wichtigen Punkten schon zu Beginn 5 Steine liegen sollten. Ein ganz ähnlicher Gedankengang führt zu der Annahme, dass die Steine auf der 6 dem rechten Spieler gehören (er spiele mit Schwarz), da diese dort wahrlich gut positioniert sind. Die Steine auf der 1 wiederum können wir getrost dem linken Spieler zuordnen (er spiele mit Weiß), denn fünf Steine auf der 1 und drei Steine auf der 6 wären eine denkbar schlechte Verteilung der Schwarzen. Zudem muss Weiß, wenn das bisher Gesagte stimmt, im Rennen recht weit zurückliegen, da er höchstens bereits vier Steine in seinem Haus haben kann. Bleiben noch neun Schwarze und sechs Weiße Steine zu verteilen. Allgemein erwarte ich, dass die Spieler bestrebt sind, Punkte im eigenen Haus mit zwei oder höchstens drei Steinen besetzen zu wollen. Auch würde es für Schwarz wenig Sinn ergeben, die Punkte 23 und 20 besetzen zu wollen. Daher schreibe ich die Steine auf 23 und 20 dem Weißen, die Steine auf 2 und 3 dem Schwarzen zu. Diese Zuordnung bestärkt meine Vermutung, dass Schwarz im Spiel die Nase vorn hat und den Weißen mehrfach am Herauslaufen gehindert hat. Um dies zu erreichen, muss er aber auch in seinem Außenfeld mehrmals zugeschlagen haben, weshalb ich ihm auch noch die Steine auf der 7 zurechne. Wenn ich das Bild 1 so ansehe, meine ich sogar zu erkennen, dass der rechte Spieler gerade im Schlagen begriffen ist. Den anvisierten Stein auf der 4 rechne ich also dem Weißen zu. Es bleiben noch drei Schwarze und ein Weißer Stein zu vergeben, die ich nur völlig willkürlich verteilen kann. Ich erhalte das Bild 3, worin der Kreis mit Pfeil anzeigt, dass Schwarz am Zug im Uhrzeigersinn spielt.

Rekonstruktion1

Bild 3: So könnte es aussehen.

Es sieht gut aus für den rechten Spieler (Schwarz). Umso erstaunlicher, dass er ebenso bedröppelt dreinschaut wie sein Gegenüber. Zumal der Ausschank den beiden Spielern weitere Freuden bereitzuhalten scheint.

 Links:

Erneut aufmerksam auf das Wurfzabelspiel wurde ich durch die beiden Spielbretter aus dem 13. Jahrhundert, die im Augustinerkloster in Freiburg aufgefunden wurden: